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Wenn Kinder streiten:
„Die regeln das schon!“ Oder etwa nicht?

Warum du dein Kind bei der Konfliktbewältigung unterstützen solltest und 4 Schritte, die dir dabei helfen

 

Ein entspannter Nachmittag

Ein sonniger Nachmittag im Park: die Freundinnen Alma und Sarah spielen fröhlich in der Sandkiste. Nach einem arbeitsreichen Vormittag hat Almas Mama, nennen wir sie Lidia, die beiden zum gemeinsamen Spielen von Kindergarten abgeholt. Lidia sitzt entspannt auf der Parkbank, auf den Ohren ihren Lieblingspodcast. Vogelgezwitscher, Sonnenstrahlen, alles ist so angenehm ruhig und friedlich.

 

Vorbei mit der Ruhe

„Gib mir die Schaufel zurück!“ Almas wütender Schrei durchbricht die Stille. Lidia springt auf und nimmt die Kopfhörer runter. Sie sieht, wie die beiden Mädchen an der einzigen Schaufel zerren. „Ich bauch Saufel, ich bauch Saufel“, zischt Sarah. „Ich brauch‘ die Schaufel“ – Sarahs Sprachentwicklung ist verzögert, daher passieren ihr noch manche Fehler. Oh, weia – ein Streit ist ausgebrochen. Beide Kinder sind richtig wütend. Die Ruhe ist vorbei. Lidia überlegt: „Was soll ich tun? Wer hat überhaupt angefangen? Soll ich eingreifen?“

Kinderstreit: Die regeln das schon! Oder etwa nicht?

Ob Kinder selbstständig Konflikte bewältigen können, hängt vom Entwicklungsstand der Kinder ab und von der Größe ihrer Gefühle. Wenn die beteiligten Kinder in ihrem Sozialverhalten, ihrer emotionalen Entwicklung und in ihrer Sprachentwicklung alles Notwendige zur Verfügung haben – dann regeln sie Meinungsverschiedenheiten selbst. Das ist dann richtig cool!

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Konflikte unter Kindern: Eltern als wichtige Unterstützung

Als Mama oder Papa zeigst du deinem Kind ganz selbstverständlich und je nach Alter Skills für den Alltag. Geduldig zeigst du deinem Kind, wie es seine Schuhe selbst anziehen kann und erklärst ihm, wie es sich im Straßenverkehr verhalten soll. Dadurch entwickelt dein Kind immer mehr Selbstständigkeit. Außerdem förderst du seine Sprachentwicklung, indem du zum Beispiel über eure Tätigkeiten sprichst. 

Genauso selbstverständlich sollten Kinder kommunikative Fähigkeiten und auch Konfliktlösungstechniken von uns Erwachsenen lernen. Zeige also deinem Kind, dass man bei unterschiedlichen Meinungen und Interessen konstruktiv miteinander umgehen kann. Wir sind ja schließlich erwachsen – und können das. Oder? Naja, hoffentlich zumindest ein bisschen besser als Kinder…

 

Die gesellschaftliche Bedeutung von Konfliktbewältigung: ein Beitrag zu einer konstruktiveren Welt

Als Eltern zahlen wir auf ein größeres Ziel ein, wenn wir unseren Kindern Wege zur Konfliktlösung beibringen. Denn wir setzen wesentliche Schritte, damit unsere Kinder als Erwachsene konstruktiv und empathisch mit Konflikten umgehen können. Kinder, die Konfliktbewältigung lernen wie Schuhe binden, können später ganz schön cool sein für unsere Gesellschaft. Solche Erwachsenen brauchen wir dringend, oder etwa nicht?

 

Ein paar kleine Reminder vorweg

Bitte denke daran: Verstehen, Verständnis haben und Einverstanden-Sein sind drei verschiedene Dinge! Mehr darüber erfährst du in meinem Blogartikel zu Thema „Gefühle benennen“ (Link).

Wichtig in jedem Streit, unter Kindern genauso wie unter Erwachsenen: körperliche Aggressionen sind natürlich verboten. Falls es dazu kommt, benennst du das Verbot klar und deutlich und sorgst für Gewaltfreiheit.

Und außerdem: die emotionale Co-Regulation, also das Begleiten von Kindern bei der Konfliktlösung, kostet uns Erwachsene ordentlich Kraft. Daher klappt es nicht jeden Tag gleich gut und manchmal vielleicht auch gar nicht. Das ist okay. 

 

Mein Tipp: 4 Schritte, um Streitigkeiten mit Kindern gemeinsam zu bewältigen

Die Kommunikationspsychologie hält alltagsnahe Strategien für Konfliktsituationen auch bei Kindern bereit. Ich beziehe mich bei meinen Tipps auf das Kapitel „Klärungshilfe mit Kindern“ von Christoph Thomann im Buch „Impulse für Kommunikation im Alltag“ von Friedemann Schulz von Thun & Dagmar Kumbier (Hg.). von 2022. Hier habe ich ein Vorgehen gefunden, das ich mit meinen Kindern vor vielen Jahren ganz ähnlich praktiziert habe.

 

Wann solltest du als Elternteil die Konfliktlösung auf jeden Fall unterstützen?

Beobachte, wie die streitenden Kinder miteinander tun. Du solltest aktiv werden, wenn zumindest ein Kind sehr emotional - verzweifelt, wütend, aggressiv – wird. Vielleicht ist es das Kind, das in seiner Sprachentwicklung noch nicht so weit ist. Oder es ist das besonders gefühlsstarke Kind. Bleib jetzt ruhig. Atme bewusst weiter. Geh hin, begib dich auf Augenhöhe und hilf den kleinen Streithähnen, die Situation zu klären. Du übernimmst die „Moderation“, die Vermittlungsrolle. Auch wenn aus deiner Sicht schon feststeht, wer „schuld“ ist oder wer „angefangen hat“: versuche trotzdem, dir alle Seiten anzuhören. Das gehört zur Konfliktbewältigung dazu.

Du könntest sagen: „Ich sehe, hier gibt es einen Streit“ oder „Ich sehe, ihr versteht euch gerade nicht. Okay, das kommt vor.“

 

Schritt 1: Selbstklärung „Erzähl mal!“

Ziel ist, dass jedes Kind seine Sicht der Dinge schildert: „Sagt mir mal, was los ist. Erst du, dann du.“ Das emotionalste Kind fängt immer an. Wichtig ist Ruhe für das sprechende Kind, damit es ohne Störung und Unterbrechung alles sagen kann. Biete daher für das andere Kind Körperkontakt an oder setz dich daneben. Was wirklich hilft, kommt auf die individuellen Vorlieben der Kinder an. Das ist bei sehr aufgebrachten Kindern zugegeben manchmal kompliziert. Trotzdem: es lohnt sich!

 

Schritt 2: Dialog „Sich verstanden fühlen“

Ziel ist, Gefühle und Interessen zu benennen, dadurch Stress zu reduzieren und zu ermöglichen, dass alle Kinder wieder in einen gemeinsamen Dialog kommen.

Zum Beispiel so: „Aha. Alma du hast die Schaufel zuerst gehabt. Und du möchtest sie nicht hergeben. Und du, Sarah, brauchst die Schaufel auch. Und möchtest sie gerne haben.“

Neutral bleiben

Wichtig ist, dass du neutral bleibst. Du machst ganz deutlich: „Ich verstehe dich, Alma. Und ich verstehe dich, Sarah.“ Das nimmt so viel Stress raus! Denn jedes Kind darf erleben: „Meine Sicht der Dinge wurde gehört. Ich muss gar nicht mehr so stark toben, damit endlich alle kapieren, was ich will.“ Gerade für Kinder mit Sprachentwicklungsverzögerung ist das ein wichtiger Aspekt. Wer sich gehört fühlt, wird sofort ein bisschen entspannter.

 

Verstanden werden ist der Schlüssel

Bitte denk daran: „Verstehen“ bedeutet hier lediglich, den Sinn zu erfassen. Ich verstehe das Erleben der anderen Person - ohne einverstanden sein zu müssen.

Ohne „Okay, ich verstehe“ kommen wir nicht weiter. Also bleib ruhig und wiederhole wirklich alle Perspektiven noch einmal in deinen Worten.

 

Schritt 3: Erklärung „Die Interessen und Gefühle der anderen Personen akzeptieren“

Ziel ist, dass alle beteiligten Kinder die Gefühle der anderen Person(en) hören und verstehen – wirklich nur inhaltlich verstehen. 

Du formulierst neutral, zum Beispiel: „Alma, Du ärgerst dich, weil du noch nicht fertig gegraben hast und die Schaufel nicht hergeben möchtest. Und Sarah, du bist wütend, weil du nach der Schaufel gefragt hast und keine Antwort bekommen hast.“

 

Schritt 4 Lösung „Wir treffen eine Vereinbarung“

In diesem Schritt, wirklich nicht früher, kann eine Lösung entstehen. Nun können die Kinder, die sich hoffentlich etwas beruhigt haben, Lösungsvorschläge machen. Du hilfst wieder dabei, sie klar zu formulieren. Dann fasst du zusammen.

„Wenn ihr zusammen spielt, könnt ihr euch mit der Schaufel abwechseln. Ihr macht euch aus, wer die Schaufel wie lange haben darf. Zum Beispiel: Alma, du zuerst, bis du diese Brücke ausgegraben hast. Dann du Sarah, bis du den Eimer vollgemacht hast.“ 

 

Kinder mit Sprachentwicklungsstörung oder Lernschwäche

Wenn ein Kind mit verzögerter Sprachentwicklung oder mit einer Lernschwäche in einen Streit gerät, schau bitte sehr genau hin. Hier ist Unterstützung besonders wichtig, damit wirklich alle gehört und verstanden werden. Bleib trotzdem ruhig und neutral, ohne Partei zu ergreifen. Sei dir bewusst: es profitieren immer alle von deiner Unterstützung!

 

Perfektion? Endlose Energiereserven? Als Eltern sicher nicht!

Auch wenn das jetzt super idyllisch klingt – natürlich kann es beim Weiterspielen wieder krachen. Es kann auch sein, dass du als Elternteil gar keine Energie oder keine Zeit für eine Klärungshilfe hast. Die allerwichtigste Voraussetzung für die Co-Regulation ist, dass du als Papa oder Mama in dem Moment genug Reserven dafür hast, die streitenden Freunde, Freundinnen oder Geschwister emotional zu begleiten. 

Bitte keine Perfektionsansprüche, weder an dich selbst noch an dein Kind. Wichtig ist, dass deine Jüngsten mit deiner Hilfe immer wieder erleben „Alle werden gehört und wir finden eine Lösung“. Denn daraus erwachsen Skills und kommunikative Kompetenzen. Die nimmt dein Kind als ganz großen Schatz mit in sein weiteres Leben.

 

Gemeinsam stark: Ermutigung zur Konfliktlösung mit deinem Kind

Konflikte gehören zum Leben dazu. Auch wenn das unpraktisch und unangenehm ist: wir dürfen das akzeptieren. Kinder lernen von uns Erwachsenen, wie man sich in Konflikten konstruktiv verhalten kann. Wie sich Emotionen verbalisieren lassen. Dass jede Partei die Sichtweise der anderen Person zumindest inhaltlich verstehen kann. Und dass es von da aus in Richtung Lösung geht. Gute Konfliktlösung kann die Welt verbessern. Es ist unser Auftrag als Eltern, unsere Kinder in ihren sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten zu stärken und sie liebevoll bei Streits und Konflikten zu begleiten.

Der Satz „Die regeln das schon!“ wird bestimmt irgendwann auf dein Kind zutreffen. Bis dahin ist es eine gute Entscheidung, wenn du als Mama oder Papa Hilfestellung zur Klärung gibst. Vermutlich stimmt der Satz immer öfter, je mehr wir mit unseren Kindern geübt haben. So wie beim Schuhe anziehen und an der roten Ampel warten.

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